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Achtsamkeit, Stress und der Säbelzahntiger

Warum Achtsamkeit hilft, gesund zu bleiben

“Achtsamkeit bezeichnet einen Zustand der Aufmerksamkeit, in dem der Geist klar und dennoch entspannt gerichtet ist. Worauf diese Ausrichtung erfolgt, kann ganz unterschiedlich sein: auf einzelne Bereiche des Körpers, auf den eigenen Atemrhythmus, auf ein Bild oder einen Gegenstand, auf ein Wort oder einen Satz.“ (Blickhan, 2018)

Achtsamkeit lässt sich auf jahrtausendealte buddhistische Praktiken zurückführen. Auch im Christentum und den anderen großen Weltreligionen ist sie fest verankert, ebenso in der Philosophie. Und doch hat es lange gedauert, bis Achtsamkeit als Methode in der Psychologie oder Medizin angekommen ist. Als Pionier gilt Jon Kabat-Zinn, ein Mediziner, der als erster Achtsamkeit systematisch in der westlichen Medizin genutzt hat. Er definiert Achtsamkeit als eine Form der Aufmerksamkeit, die sich durch drei zentrale Facetten auszeichnet:

  • Achtsamkeit ist absichtsvoll, d.h. wir fokussieren unsere Aufmerksamkeit gezielt. Das Gegenteil von Achtsamkeit wäre „mind-wandering“, also mentales Spazierengehen im Sinne von Tagträumen.
  • Die Aufmerksamkeit ist auf den gegenwärtigen Moment gerichtet, statt auf die Vergangenheit oder die Zukunft). Wir bleiben aufmerksam bei dem, was jetzt ist und schweifen nicht dahin ab, was war oder was sein sollte.
  • Und schließlich ist die Aufmerksamkeit nicht wertend. Wir nehmen einfach wertfrei wie ein Beobachter wahr, was im Moment ist (sinngemäß zitiert nach Kabat-Zinn,1996).

Was hat Achtsamkeit mit Stress zu tun?

Wie können wir Achtsamkeit nutzen, um besser mit Stress umzugehen? Wie wird Achtsamkeit zu einer Grundlage, auf der Menschen besser mit dem umzugehen lernen, was sie belastet?

MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) bedeutet “Stressreduktion auf der Grundlage von Achtsamkeit”.  Sie lässt sich trainieren, in etwa vergleichbar mit dem Autogenen Training. Wie kann man sich das genauer vorstellen? Wie schon der Name “Stressreduktion auf der Grundlage von Achtsamkeit” sagt, geht es bei MBSR darum, Stress zu verringern, und zwar durch das Nutzen von achtsamkeitsbasierten Techniken.

Stress macht uns wach und reaktionsbereit, weil er uns körperlich und psychisch auf sofortiges Handeln einstimmt. Aus evolutionsbiologischer Sicht lässt sich das gut erklären: Sobald unseren Vorfahren der sprichwörtliche Säbelzahntiger zu nahe kam, erlebten sie Stress und mussten sich möglichst rasch entscheiden, ob sie mit dem Tier den Kampf aufnehmen („fight“) oder das Weite suchen („flight“). Falls sie sich nicht für eine der beiden Optionen entscheiden konnten, stellten sie sich tot („freeze“) und hofften darauf, sich unsichtbar genug machen zu können, um nicht zum Opfer zu werden. Diese archaischen Reaktionsmuster stecken immer noch in uns, auch wenn wir schon längst keine Säbelzahntiger mehr antreffen.

Stress gehört zum menschlichen Leben und in der richtigen „Dosierung“ tut er uns sogar gut, denn er trainiert unser physiologisches System. Was uns aber nicht gut tut, ist chronischer Stress. Und das ist aber genau die Form von Stress, unter der wir heute mehr und mehr leiden. Unsere Vorfahren konnten vor dem Säbelzahntiger fliehen, wir können das nicht vor einem cholerischen Chef, wütenden Kunden oder einer als Dauerbelastung erlebten Partnerschaft. Und dann bleibt der Stress in unserem System und verursacht Schäden an Körper und Psyche.

Genau hier setzt MBSR an: Mithilfe von Achtsamkeit trainiert man die eigenen Emotionen und Körperempfindungen wahrzunehmen wie ein Beobachter, um dadurch zu neuer Handlungsfähigkeit zu finden.

Bei welchen Beschwerden kann Achtsamkeit helfen?

Jon Kabat-Zinn konnte in zahlreichen wissenschaftlichen Studien zeigen, wie weit die positiven Wirkungen der Achtsamkeit reichen. Sein Fazit lautete bereits von mehr als 20 Jahren: Achtsamkeit kann Menschen helfen, besser mit Stress, Angst und Krankheit umzugehen (Kabat-Zinn, 1996).

Stress wirkt auf drei Ebenen: psychisch, körperlich und sozial. Diese drei Ebenen stehen in gegenseitiger Wechselwirkung. Wieviel Stress wir aber erleben, hängt ganz entscheidend davon ab, wie wir die Dinge wahrnehmen und mit ihnen umgehen. Und deshalb lohnt es sich, einen bewussten, intelligenten Umgang mit Stress zu lernen und ihn so in Grenzen halten. Achtsamkeit ist besonders nützlich für Menschen, die sich getrieben fühlen, überlastet und gestresst, die nicht abschalten können, schlecht schlafen und sich nicht entspannen können. Achtsamkeit hilft ferner dabei, besser mit körperlichen Beschwerden umzugehen. Kabat-Zinns Studien konnten diese positiven Wirkungen bei so unterschiedlichen Beschwerdebildern wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychosomatische Krankheiten, chronische Schmerzen, Migräne, Allergien oder Schlaflosigkeit zeigen.

Wie trainiert man Achtsamkeit?

„Achtsamkeit bedeutet, die eigene Aufmerksamkeit gezielt zu richten, entweder nach innen, zum Beispiel auf den eigenen Atem oder den Körper; oder nach außen, zum Beispiel auf einen Gegenstand oder ein Bild. Das kann man durchaus als Fitnesstraining für den Geist verstehen. Wenn Sie im Fitnessstudio ihre Muskeln trainieren, dann werden Sie im Wechsel den Muskel immer wieder anspannen und entspannen. Ähnlich verhält es sich mit der Aufmerksamkeit: Sobald Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem (nehmen wir diesen hier als Beispiel) richten, spannt sich der „mentale Muskel“ an. Doch unser Gehirn funktioniert so, dass es ständig auf der Suche nach Neuem und Spannendem ist. Sie werden also nach kurzer Zeit wahrnehmen, dass Ihre Aufmerksamkeit weg vom Atem gewandert ist und Sie stattdessen an etwas ganz anderes denken, zum Beispiel an die Frage, was es heute Abend zu essen gibt. Das ist völlig normal und auch nicht weiter beunruhigend; es entspricht einfach dem Entspannen des „mentalen Muskels“. Genauso wie im Fitnesstraining geht es nun also darum, den „Muskel“ wieder anzuspannen, das heißt, die Aufmerksamkeit wieder auf den Atem zu richten.

Achtsamkeit bedeutet also, immer wieder zu diesem selbst gewählten Fokus der Aufmerksamkeit zurückzukommen. Entscheidend dabei ist die innere Haltung: Ist sie absichtsvoll und freundlich, unterstützt das am besten. Statt sich also innerlich dafür zu verurteilen oder zu maßregeln, dass man mit der Aufmerksamkeit abgeschweift ist, ist es am besten, das freundlich zur Kenntnis zu nehmen und sich dann einfach wieder auf seinen Atem zu konzentrieren.“ (nach Blickhan, 2018)

Viele Menschen fürchten, dass sie in ihrem Alltag keine Zeit finden können, um regelmäßige Achtsamkeitsübungen durchzuführen und versuchen es deshalb gar nicht erst. Doch nicht die Dauer des Achtsamkeitstrainings ist für seine positiven Wirkungen verantwortlich, sondern vielmehr seine Regelmäßigkeit. Und deshalb kann es genügen, pro Tag fünf bis zehn Minuten dafür zu reservieren. Wer dies auf humorvolle und überzeugende Art und Weise lesen möchte, dem sei Chade-Meng Tans Buch Search Inside Yourself  empfohlen, dessen Titelbild nicht von ungefähr an die Suchmaschine Google erinnert: In Zusammenarbeit mit Kabat-Zinn hat Tan bei Google ein konzernweites Achtsamkeitsprogramm eingeführt. Sein Ansatz holt die Menschen dort ab, wo sie sind: in ihrer schnelllebigen Umwelt und in ihrem vollen Tagesprogramm. „Ein achtsamer Atemzug pro Tag – und es war ein guter Tag“ ist ein ebenso hilfreicher Rat wie dieser: „Wenn du denkst, du kannst zehn Minuten Achtsamkeit üben, dann mach nur acht.“ Wenn auf diese Weise die persönliche Messlatte niedriger gelegt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Achtsamkeit leichter und motivierter in den eigenen Tagesablauf integriert wird. Erfolgserlebnisse werden folgen und unterstützen.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus einem Interview mit Daniela Blickhan, das Martin Lewicki geführt hat. Lesen Sie hier seinen Artikel “Wie Achtsamkeitstraining hilft, besser mit Stress umzugehen”

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