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„Selbstmitgefühl ist kein Selbstmitleid!“

Perspektiven der Positiven Psychologie zum guten Umgang mit sich selbst

Positive Psychologie erforscht, wie Menschen ein gelingendes Leben führen können – auch und gerade angesichts widriger Lebenserfahrungen, Schmerz und Leid:

Wie können wir aufblühen und “werden, wer wir sind”?

Im Rahmen des Selfcare Online-Kongresses der Verlage Klett-Cotta, Junfermann und Schattauer entstand im Januar 2022 dieses Interview mit Dr. Daniela Blickhan zum Thema Selbstfürsorge aus Sicht der Positiven Psychologie. Geführt wurde es von Sebastian Mauritz und wir fassen hier die wichtigsten Inhalte zusammen.

Das gesamte Video könnt ihr im INNTAL-Youtube-Kanal ansehen.

Daniela, was bedeutet Selbstfürsorge im Leben und im beruflichen Kontext für dich?

Selbstfürsorge in Kindersprache übertragen heißt so viel wie „gut mit sich umgehen und sich lieb haben“. Für mich persönlich bedeutet das in diesem Moment präsent zu sein: ich bin da, wo ich bin und nicht woanders. Da, wo ich bin, entscheide ich mich bewusst dafür, dass das genau der richtige Platz ist. Worauf fokussiert sich eigentlich meine Aufmerksamkeit? Das zu bestimmen und bewusst zu lenken, zählt für mich zu den Grundlagen des gelingenden Lebens. Dazu gehört auch anzuerkennen, dass ich das tue, was ich im Moment tun kann, auch wenn es vielleicht nicht perfekt ist – es ist immer noch besser als nichts zu tun.

Warum spielt Selbstfürsorge für dich im Alltag eine so große Rolle?

Es gab durchaus Phasen in meinem Leben, wo ich mich zu wenig um mich und zu viel um externe Themen gekümmert habe. In dieser Zeit waren mir meine Projekte so wichtig, dass ich meine Gesundheit vernachlässigt und das Ausmaß, dem Burnout nahe, selbst nur wenig erkannt habe.

Es gibt immer Zeitabschnitte im Leben, wo alles schneller geht, man mehr zu tun hat und ich habe damals in vier bis fünf Jahren die Arbeit von 10 Jahren umgesetzt. Ich war in diesem Moment wirklich froh, dass ich körperlich in der Lage dazu war und kurz vor knapp den Absprung geschafft habe. Danach habe ich viel in meinem Leben verändert.

Warum sollte jeder Selbstfürsorge in sein Leben integrieren und wofür ist das gut?

In der westlichen Welt und mit den Konditionierungen unserer leistungsorientierten höher-schneller-weiter Gesellschaft ist es oft eine Überwindung, einen Gang zurückzuschalten und freie Zeit im Kalender nicht nur noch als ungefüllte Termine zu sehen. Sich bewusst Zeit für sich zu nehmen, Sport, Hobbies, Freunde und auch dazu zu stehen, beeinflusst unsere Gesundheit und unsere Lebenszufriedenheit enorm. Bewusste Aufmerksamkeitssteuerung, anstatt so viel wie möglich in den Moment zu packen.

Was kann man den Menschen sagen, die mit „Aber ich muss doch..“ in Bezug auf Familie, Job & Co. argumentieren?

Hier könnte die Frage helfen: Was ist dir eigentlich wichtig? Dazu gibt es ein schönes Gedankenexperiment. Stell dir vor, dass du an deinem 80. Geburtstag im Kreise deiner Lieben sitzt und eine Laudatio über dich und dein Leben hörst. Was soll von mir bleiben? Wie sollen sich Menschen an mich erinnern? Spätestens da merkt man, wenn man sich aktuell zu wenig Zeit für seine Liebsten nimmt und sich zu wenig lebendig fühlt.

Selbstfürsorge ist für uns wie der TÜV & Ölwechsel für das Auto. Und das ist wichtig und hat nichts mit Weichheit oder zu wenig machen und sein zu tun.

Warum ist Selbstfürsorge nicht egoistisch?

..weil sich hier auch immer die Frage stellt: Welches Vorbild möchte ich sein? Auch wenn man z.B. in der Mutterrolle das Gefühlt hat, für seine Kinder alles tun zu wollen und sich selbst und die eigenen Bedürfnisse immer zu missachten, so könnte das Zitat von Karl Valentin Klarheit schaffen: „Egal, wie wir unsere Kinder erziehen, sie machen uns doch alles nach.“ Du bist ein Modell dafür, dass deine Kinder zu selbstfürsorglichen Menschen heranwachsen.

Was sind für dich die wichtigsten Aspekte beim Konzept der Selbstfürsorge?

An dieser Stelle möchte ich den Begriff noch etwas schärfen und mit Selbstmitgefühl übersetzen. Selbstfürsorge bedeutet, gut mit sich umzugehen. Selbstmitgefühl fasst das noch spezifischer, nämlich immer dann, wenn es gerade schwierig wird. Ganz wichtig an dieser Stelle ist auch, dass beides nicht gleich Selbstmitleid ist. Selbstmitleid bedeutet nämlich, nur mir geht es schlecht, allen anderen geht es gut. Im Selbstmitgefühl kann ich mich mit anderen Menschen verbunden fühlen – das hilft!

Die wichtigsten “Zutaten” für Selbstmitgefühl:

  1. achtsam mit mir sein
  2. verbunden mit anderen fühlen (das geht allen mal so, das ist menschlich – ich bin ein Mensch)
  3. freundlich mit mir sein („ich darf jetzt freundlich und verständnisvoll mit mir sein“)

Aus diesen drei Komponenten lässt sich ein Selbstmitgefühlsmantra entwickeln, das in schwierigen Zeiten unterstützt, selbstmitfühlend mit sich umzugehen. Wichtig ist dabei, dass sich die gewählte Formulierung für jeden individuell stimmig anfühlt.

Woran liegt das, dass wir in Bezug auf Selbstfürsorge so ein dysfunktionales Verhalten haben?

Oft fällt einem Mitgefühl anderen gegenüber leichter als sich selbst gegenüber. In Deutschland wird leider noch viel zu oft gesagt „Stell dich nicht so an“. Auch wird Selbstmitgefühl häufig noch mit Selbstmitleid gleichgesetzt oder in Verbindung gebracht, dabei darf man hier deutlich differenzieren. Es geht nicht darum sich selbst zu bemitleiden.

Ein weitere Punkt sind fehlerorientiertes Lernen in Schule, Ausbildung, Beruf, Studium. Hier werden Fehler bis heute immer noch mehr hervorgehoben als etwas, das man richtig gemacht hat. Dabei hat die Wissenschaft herausgefunden, dass positive Dinge einen stärkeren Anreiz zum Modelllernen darstellen. Nicht nur reparieren, was nicht funktioniert, sondern auch unterstützen, was schon da und gut ist. Wir entscheiden, ob wir unsere Energie und Aufmerksamkeit nur auf Probleme oder vorrangig auf Ressourcen lenken.

Hast du eine einfache Achtsamkeitsroutine?

Inspiriert wurde ich durch das Buch „Search inside yourself“ von Chade-Meng Tan. Er sagt dort so viel wie, wenn du einen achtsamen Atemzug am Tag genommen hast, war es ein guter Tag. Und genau das habe ich mir zum Mantra gemacht. Leg die Messlatte so niedrig, dass du leichter drüber kommst, als unten durch und zwinge dich nicht zu übermäßig vielen Interventionen, wenn dich das unter Druck setzt. In der Positiven Psychologie haben wir z.B. die achtsame Pause. Das bedeutet, man nimmt zwei bis drei ruhige Atemzüge, atmet lang und tief aus, richtet die Aufmerksamkeit nach innen und stellt sich folgende Fragen: Was ist in mir gerade lebendig? Wie könnte das, was in mir gerade lebendig ist, mir bei dem, was ich jetzt tun möchte helfen. Der nächste Schritt wäre dann, die achtsame Pause immer wieder in den Alltag zu integrieren.

Zum Abschluss: Hast du eine Art Vorbild in Bezug auf Selbstfürsorge?

Da fallen mir viele Menschen ein, viele davon aus meinem persönlichen Umfeld. Um aber an dieser Stelle noch ein Vorbild aus der Wissenschaft zu nennen: Kristin Neff. Sie greift in ihrem Buch „Selbstmitgefühl – wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden“ nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse zu Selbstmitgefühl aus ihrer eigenen Forschung auf, sondern schafft es auch, ihre eigene Geschichte glaubhaft und unaufdringlich zu integrieren. Als Businessversion des Begriffs Selbstmitgefühl hat mein Inntal Kollege Thorsten Sauter übrigens Selbstfreundlichkeit eingeführt.

…und welches Motto oder Zitat hat dich geprägt?

„Gib nicht dem Leben mehr Tage, gib den Tagen mehr Leben.“

Und damit meine ich die emotionale Schwingungsfähigkeit in alle Richtungen – alles gehört zum Leben dazu.

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