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Drei Atemzüge für ein gutes Leben?

Wanting, Craving, Liking – also „wollen“, „brauchen“ und „mögen“ – haben entscheidend damit zu tun, wie zufrieden oder unzufrieden wir uns fühlen. Und das wiederum hat Einfluss auf unsere Motivation und unser Handeln. Doch der Reihe nach:

Wanting: Die Aussicht auf Belohnung motiviert uns

Wir alle kennen das Gefühl, etwas zu wollen, sei es ein gutes Essen, eine positive Rückmeldung oder etwas Materielles. Im besten Fall erzeugt schon der Gedanke daran Vorfreude. Wir richten unsere Aufmerksamkeit darauf aus und spüren einen Sog, der uns motivieren kann, dann auch entsprechend zu handeln, um diesem „wollen“ näherzukommen. Unser Geist fokussiert sich.

Im Gehirn übernimmt nun das Belohnungs-Vorfreude-System das Ruder (das dopaminerge System). Und diese Vorfreude aktiviert  und gibt uns einen inneren Fokus.

Soweit so gut. Doch manchmal wird aus der Vorfreude etwas anderes, nämlich eine Überfokussierung. Dann wollen wir nicht mehr nur etwas, sondern dann brauchen wir es – und zwar am liebsten möglichst gleich. Dann stecken wir im Craving, also im Gefühl des Verlangens. Und dieses Verlangen kann sich auf ganz unterschiedliche Dinge richten, auf Essen oder Trinken, auf Aufmerksamkeit in einer bestimmten Form, auf eine ganz bestimmte Reizkonstellation.

Craving: Ich brauche das jetzt unbedingt, sonst…

Craving spielt eine zentrale Rolle bei allen Arten von suchtartigem Verhalten. Das kann Essen oder Trinken ebenso betreffen wie andere Verhaltensweisen, zum Beispiel das Versinken in social media, doomscrolling, immer wieder unsere Nachrichten checken oder Likes zählen.

Im Craving erleben wir keine Vorfreude mehr, weil jetzt andere Netzwerke im Gehirn das Ruder übernehmen. Unsere aktive Steuerung setzt dann sogar vorübergehend auch völlig aus – Moment, eben war da doch noch eine ganze Tafel Schokolade? Jetzt sehe ich nur noch einige Krümel … – und was zurückbleibt ist ein schales Gefühl. Wir fühlen uns vielleicht „voll“, aber nicht in einem guten Sinn. Häufig kommen dann auch gleich die Selbstvorwürfe, dass wir uns mal wieder nicht im Griff gehabt haben, und spätestens dann kippt das flüchtige Wohlgefühl ins Gegenteil.

Wenn wir dem Craving nachgeben, vermittelt uns das meist nicht einmal besonderen positive Gefühle, denn im Craving ist das Genusserlebe vom Gefühl des  „Brauchesn“ abgekoppelt. Wir haben zwar das Gefühl, dass wir etwas ganz dringend brauchen, aber wenn wir es dann erhalten oder erreichen, ist es selten  mit spürbarem Genuss verbunden. Ein Paradox. 

Liking: Wahrnehmen, was gut ist

Die Positive Psychologie sammelt seit mehr als 30 Jahren empirische Belege dafür, dass es Menschen stärkt, wenn sie das Gute wahrnehmen können. Es fördert Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit, Gesundheit und Beziehungen. Und genau darum geht’s beim Liking: Wahrnehmen, was in diesem Moment gerade gut ist.

Darin stecken zwei zentrale Punkte:

  • erstens das Wahrnehmen im Augenblick und
  • zweitens das, was gerade gut ist.

Bei beiden Aspekten lohnt es sich, genauer hinzuschauen, was das bedeutet. Doch zuerst noch eine Fußnote zur Neurobiologie des Liking: Früher dachte man, Liking werde auch durch Dopamin vermittelt, doch inzwischen urdew diese Annahme korrigiert . Liking zahlt eher auf Neurotransmitter wie Oxytocin oder Serotonin ein,  die Botenstoffe der Zufriedenheit

Unsere „Werkseinstellung“: Vorsicht, wo könnten Gefahren lauern?

Unser Gehirn ist in Bezug auf seine „Werkseinstellung“ uralt. Seine Grundmuster stammen aus der Steinzeit und sind je nachdem, wie man es betrachtet, zehntausende oder sogar hunderttausend Jahre alt. Damals wär die Welt noch ein völlig anderer Ort, und es lohnte sich evolutionär ungemein, die Umwelt permanent nach möglichen Gefahren abzuscannen. Damit stiegen nämlich die Chancen fürs eigene Überlegen massiv, weil Gefahren in der Steinzeit sehr schnell lebensbedrohlich werden konnten. (Und das ist übrigens schon ein grundlegender Unterschied zu unserer modernen Welt. Unsere Stressoren sind belastend, aber seltener lebensbedrohlich.)

Die Aufgabe unseres Gehirns war (und ist) es, unser Überleben zu sichern, nicht unsere positive Stimmung.

Und so haben wir alle in der „Werkseinstellung“ das sogenannte Negativity Bias mitbekommen. Es besteht aus drei Grundregeln:

  • Suche die Umwelt und die Innenwelt permanent nach möglichen Gefahren ab. Die Psychologie nennt das aversive Reize: Was könnte schiefgehen? Was wirkt gefährlich? Wo lauern Hindernisse?
  • Wenn ein solcher aversiver Reiz entdeckt wird, dann wird darauf fokussiert. Der berühmte Tunnelblick hilft dabei, das Problem besser in den Blick zu nehmen. Leider blendet er im Zuge dessen aber alles übrige aus, also auch potentiell hilfreiche Aspekte unserer Umwelt und Innenwelt. Das Problem wird ganz groß.
  • Unsere Reaktion folgt auf dem Fuß, und zwar nach dem Muster Kämpfen, Flüchten oder – wenn beides nicht geht – Erstarren. Fight, flight or freeze.

Und genau hier können wir ansetzen.

Im Gehirn neue Wege bahnen

Es spricht absolut nichts dagegen, sich auf Gefahren zu fokussieren. Das sicherte das Überleben unserer Spezies, und deshalb haben wir diese Werkseinstellung mitbekommen. Doch unsere heutige Welt ist voll von potentiellen Gefahren, und so wird unser Negativity Bias immer häufiger und immer länger aktiviert.

Unsere Vorfahren konnten sich in der Höhle dann auch mal wieder entspannen, denn es lauerte ja nicht an jeder Ecke ein Säbelzahntiger. Doch wenn wir in unser „Höhle“ sitzen, schauen wir sehr oft in unser Smartphone – und dann springen uns die schlechten Nachrichten förmlich an.

Das Zusammenleben in unserer komplexen Welt ist voll von potentiellen Gefahren und eine (globale, nationale, politische) Krise folgt der nächsten. Dabei bleibt die normale, gesunde Erholungsreaktion auf der Strecke, und unser System richtet sich mehr und mehr am Negativity Bias aus.

Was bedeutet nun in diesem Zusammenhang Liking? Da waren die zwei Aspekte: mit der Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment sein und dabei auf das fokussieren, was gut ist. Nicht sensationell, toll, überschäumend, sondern einfach nur gut oder ok.

Achtsamkeit statt Autopilot

Das klingt nach Achtsamkeit? Ja, genau, das Wahrnehmen dessen, was im gegenwärtigen Moment ist, kennzeichnet einen zentrales Merkmal der Achtsamkeit. Und Achtsamkeit lässt sich trainieren. Wenn wir unserem Gehirn immer wieder die Frage anbieten

„Was ist im Moment gerade schön?“

dann entsteht dabei ein neuer Weg. Wir verändern damit in Echtzeit die Werkseinstellung unseres Gehirns. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf das Gute, das Schöne, das Angenehme, und dadurch schaffen wir Raum.

Vom Gehirnbesitzer zum Gehirnbenutzer

Gerald Hüther spricht davon, dass wir vom Gehirnbesitzer zum Gehirnbenutzer werden können. Diese Formulierung begeistert mich, seit ich sie bei einer seiner Keynotes für mehr als 15 Jahren zum ersten Mal gehört habe. Und deshalb möchte ich eine Anleitung dafür geben, wie das neurophysiologisch geht, dass wir unser Gehirn benutzen, um das Gute zu sehen:

Drei Schritte genügen dafür; und dafür gibt’s auch gleich noch eine Merkhilfe: www.

WWW – ein Weg zum guten Leben

  • Wahrnehmen:
    Was ist gerade gut? Jetzt im Moment? Es braucht nicht groß sein, nicht spektakulär, „gut“ ist gut genug. (Und wenn die Frage gerade zu schwer scheint, dann formulieren wir sie um: „Was ist gerade weniger anstrengend? Weniger schlimm? Weniger…?“)

    Damit richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das Positive und gehen weg vom Negativity Bias. Doch das allein genügt noch nicht, denn das ist ein kurzlebiger Moment. Der braucht Rückenstärkung:

  • Wertschätzen:
    Ich nehme das wahr, was gerade gut ist und freue mich darüber, dass ich es wahrnehme. In der Psychologie beschreiben wir das als Metakognition – ich beobachte meine Gedanken und Gefühle, die ich gerade erlebe.

    Dieses bewusste Wertschätzen des angenehmen Gefühls und Gedankens unterstützt die Veränderung im Gehirn schon ein wenig stärker. Das können wir dadurch vertiefen, indem wir innerlich benennen, was wir wahrnehmen. Oder wenn es die Situation erlaubt, es vielleicht sogar aussprechen. Dann haben auch noch andere Menschen etwas davon. (In Japan begeistert mich das immer wieder, wie Menschen ihre positive Wahrnehmung mit einem halblauten „wunderschön!“, „großartig!“, „wie schön!“ hörbar werden lassen.)

  • Wirken lassen:
    Dieser dritte Schritt ist neurophysiologisch der entscheidende. Wir bleiben einfach noch ein bisschen bei dieser Wahrnehmung des Positiven. Wir geben ihr Raum in unserem Inneren – idealerweise mit ein paar entspannten Atemzügen. Das dauert weniger als eine Minute und geht auch ganz unauffällig, und damit verankern wir die positive Wahrnehmung in unserem Gehirn. Das verändert buchstäblich unsere Werkseinstellung, wenn wir das nicht nur einmal machen sondern öfter.

Die Positive Psychologie kennt dafür noch weitere unterstützende Interventionen, zum Beispiel den Miniurlaub, den Genussspaziergang oder andere Formen des bewussten Genießens. Sie lassen sich hier nach Belieben anschließen und frei kombinieren.

Drei Atemzüge genügen für eine Veränderung unseres Gehirns

Das Schöne an dieser neurophysiologisch fundierten Strategie: Sie braucht gar nicht viel Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Denn unser Gehirn lernt vor allem durch Wiederholung, also durch Frequenz, und gar nicht so sehr durch Intensität.

Und wenn wir uns das „www“ als sichtbare Erinnerung in unserem Umfeld platzieren – am Badezimmerspiegel, am Esstisch, am Schlüsselbund, am Schreibtisch, bei den Schuhen, die wir zum Spazierengehen anziehen – dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns öfter am Tage eine solche „positive Minute“ gönnen. Wahrnehmen was gerade schön ist – wertschätzen, dass ich mich darüber freuen kann – und dann drei Atemzüge lang einsinken und wirken lassen. Das genügt.

Ich wünsche euch viel Freude damit!

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