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Positive Psychologie – Impulse aus Island für die Welt

Die 10. Europäische Konferenz für Positive Psychologie in Reykjavik

Creating a world we want to live in – unter diesem Motto stand die 10. Europäische Konferenz für Positive Psychologie in Reyjkavik. 800 Teilnehmende aus über 30 Ländern hatten die Chance genutzt, sich über Forschung und Anwendung der Wissenschaft des gelingenden Lebens  auszutauschen. Für viele Mitteleuropäer waren die Konferenztage bei gerade mal zweistelligen Temperaturen ein klimatischer Schock; Isländer sprachen dagegen von einer Hitzewelle, als das Thermometer zwischendurch kurzzeitig 15 Grad erreichte.

Die drei Tage der Konferenz waren geprägt durch interessante Keynotes, Vorträge und Workshops in einer fantastischen Umgebung. Das Harpa Konferenzzentrum vermittelt den Eindruck eines Glaspalasts direkt am Meer mit faszinierenden Perspektiven über Hafen, Meer, Berge und Stadt .

Das Schöne an Konferenzen ist der Austausch, das gemeinsame Entwickeln neuer Ideen und die gegenseitige Inspiration. Nach zwei Jahren Abstinenz war spürbar, wie sehr wir alle vermisst hatten, uns persönlich zu treffen und gemeinsam in einem Raum zu sein. Onlinemeetings sind effizient und praktisch, doch echte Begegnungen ermöglichen einfach mehr Austausch, Diskussion und gemeinsame neue Ideen. Das war zu jedem Zeitpunkt der Konferenz spürbar.

Getragen vom gemeinsamen Wunsch, durch den Einsatz der Positiven Psychologie die Welt wirklich und nachhaltig besser zu machen, zog sich durch zahlreiche Vorträge und Keynotes ein roter Faden aus gesicherten, gut belegten Erkenntnissen, auf die wir uns in der Anwendung stützen können. Oft war die Rede von Strategien, Methoden und Fähigkeiten, mit denen sich Wohlbefinden gezielt und verlässlich stärken lässt, etwa in den folgenden zentralen Beiträgen:

Kernkompetenzen für Wohlbefinden

Felicia Huppert, die vielen durch ihr Modell des Psychischen Wohlbefindens ein Begriff ist und die seit Jahren die Positive Psychologie auch auf politischer Ebene prägt, sprach in ihrer Eröffnungskeynote über die Kernkompetenzen für Wohlbefinden:

  • open mind – Aufmerksamkeit dafür, was im Innen und Außen vor sich geht, mit einer Haltung von Neugier und Akzeptanz. Wahrnehmen, was ist. Emotionen regulieren und sich nicht in ihnen verlieren.
  • open heart – Als soziale Wesen nehmen wir die Emotionen anderer wahr. Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft sind uns in die Wiege gelegt. Sehen wir Schmerz, können wir mitfühlend reagieren, doch  „compassion takes courage“ Es erfordert Mut, Schmerz und Leid anderer Menschen wahrzunehmen, ohne selbst unterzugehen. 
  • clear thinking – Informationen sorgsam aufnehmen, reflektieren, einordnen. Nicht vorschnell urteilen. Die Quelle einer Information kennen und immer auch eine gesunde Skepsis bewahren.

Aus diesen drei Kernkompetenzen erwächst weises Handeln, wise action. Und die Kompetenzen lassen sich trainieren. Schon Kinder können sie lernen, in Führungsbeziehungen spielen sie eine Rolle, im gesellschaftlichen Zusammenleben ermöglichen sie ein neues Miteinander, so die ermutigende Botschaft von Felicia Huppert.

Wohlbefinden ist eine Fähigkeit, die sich lernen lässt

Auch Richard Davidson, bekannter Neurowissenschaftler, begann seine Keynote mit der Aussage „Wohlbefinden ist eine Fähigkeit, die sich lernen lässt.“ Er präsentierte Belege dafür, wie Wohlbefinden nicht nur unser Neurophysiologie verändert, sondern auch mit höherer Lebenserwartung korreliert. Davidson untersucht seit Jahren, wie Aufmerksamkeitsteuerung und Achtsamkeitspraxis unser Gehirn formen und verändern. Den Auftrag dazu erhielt er persönlich durch den  Dalai Lama, der ihm beim ersten Besuch in seinem Labor vor vielen Jahren bat, die Wirkung von Meditation auf das Gehirn mit modernen bildgebenden Verfahren zu untersuchen.

In seiner Keynote stellte Davidson vier Säulen des Wohlbefindens vor:

  • awareness – „A wandering mind is an unhappy mind“: In Momenten, in denen wir präsent im Hier und Jetzt sind, geht es uns besser – und umgekehrt. Gesund für Gehirn und Psyche ist es, die Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Moment trainieren, präsent sein, wahrnehmen, was ist (awareness & meta-awareness)
  • connection – ein Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen, mit der Natur kultivieren. Wertschätzung, Dankbarkeit, Freundlichkeit und Mitgefühl erleben und diesen Gefühlen bewusst Raum geben in der eigenen Erfahrung. Ein effektiver Weg, um diese Haltung zu entwickeln, ist die Metta-Meditation, bekannt auch als Loving Kindness Meditation. Ihr Effekt im Gehirn lässt sich schon nach zwei Wochen nachweisen, in denen täglich 30 Minuten dafür aufgewendet wurden. Neurophysiologische Spuren schon nach sieben Stunden!
  • insight – Neugier für das, was im eigenen Inneren passiert: self-inquiry, self-knowledge, self-transcendence. Sich selbst kennenlernen, verstehen, und dann über das eigene Erleben hinausgehen.
  • purpose – die eigenen Werte kennen und verwirklichen, Motivation finden, Sinn erleben: Sinn zeigt sich laut Davidson als der beste Prädiktor für die Lebenserwartung.

„It does’nt take much!“ – mit diesem Fazit betonte Davidson, dass schon kurze Interventionen spürbare Wirkung bringen. Mikro-Interventionen von einer Minute Dauer können bereits Resilienz und Vitalität stärken. Als praktische Hilfe verwies er auf die wissenschaftlich fundierte App Healthy Minds Program.

Mikrointervention für Wohlbefinden: „What is my purpose?“

Eine Minute genügt, regelmäßig und bewusst eingesetzt:

Stell dir eine Frage wie

  • Wozu mache ich das? Worum geht es mir dabei? 
  • Zu welchem größeren ganzen trage ich damit bei? Was ist der Sinn?
  • Welchen Wert möchte ich damit verwirklichen? Welchen Werte möchte ich leben?

Eine Minute genügt, wenn wir dieser Frage wirklich Raum geben. Besonders eignen sich dafür Übergänge: der Beginn des Tages oder Arbeitstages, einer Coaching Session, eines Meetings, eines Geprächs. Immer wenn wir etwas anfangen können wir so unseren inneren Kompass auf Werte und Sinn justieren und stärken damit unsere geistige Gesundheit, Resilienz und Vitalität.

Autonomie als Basis eines gelingenden Lebens

Richard Ryan, Mitbegründer der Self Determination Theory, begann seine Keynote mit den Worten:

„Achtsamkeit bedeutet offene Aufmerksamkeit für das, was in uns selbst und um uns herum vorgeht. Achtsamkeit hilft uns dabei, bessere Entscheidungen zu treffen. Deshalb ist Achtsamkeit die Grundlage für Autonomie.“

Autonomous choices, die persönliche Verantwortung für die eigenen Entscheidungen standen im Mittelpunkt der zahlreichen Erkenntnisse, die Ryan in einem beeindruckenden Rundflug über die Arbeit zahlreicher Forschender präsentierte. Die Self Determination Theory (SDT) untersucht, was Menschen brauchen, um aufzublühen. Und genau das ist die Kernfrage der Positiven Psychologie (PP). Gehört die SDT also zur Positiven Psychologie?  Ihre Anfänge reichen deutlich weiter zurück als 1998, als Martin Seligman die moderne Positive Psychologie ausrief. Anhand aktueller Definitionen der PP zeigte Ryan überzeigend die Ähnlichkeit der beiden Forschungsgebiete: „SDT is a Positive Psychology.“

„Es liegt in unserer Natur aufzublühen. Es ist in uns angelegt, gleichermaßen Differenzierung und Integration zu erleben und damit psychische Leistungsfähigkeit. Doch das ist kein automatischer Prozess; wir brauchen dafür körperliche psychische Nährstoffe.“ Die psychischen Nährstoffe werden in der SDT durch drei psychische Grundbedürfnisse beschrieben: Autonomie, Kompetenzerleben und Verbundenheit. Ryan betonte die Autonomie als zentralen Faktor für psychische Gesundheit, Wohlbefinden und Potentialentfaltung, belegt durch zahllose Studien über mehrere Jahrzehnte.

Was Autonomie ist – und was nicht

Autonomie bedeutet, freiwillig und an eigenen Werten orientiert zu handeln, in allen Bereichen des eigenen Lebens. Autonomie ist nicht gleichzusetzen mit Unabhängigkeit (man kann sich autonom dafür entscheiden, jemandem zuliebe eigene Wünsche zurückzustellen oder Unterstützung anzunehmen), Isolation (Beziehungen einzugehen, ist Ausdruck von Autonomie – laut Ryan sogar die höchste Form davon) oder absolute Freiheit (Struktur und Orientierung von außen können wir freiwillig annehmen und unsere Entscheidungen danach ausrichten). Diese Differenzierung ist wichtig für das Verständnis von Autonomie im Rahmen von Beziehung, Führung und Erziehung: Es geht nicht darum, möglichst viel selbst – geschweige denn alleine – entscheiden zu müssen, sondern darum, im Tun die eigenen Werte verwirklichen zu können.

Das psychische Grundbedürfnis nach Autonomie steht in direktem Zusammenhang mit internaler und intrinsicher Motivation. Dann handeln Menschen selbstgesteuert, wertorientiert und eigenverantwortlich. Und das fördert nicht nur Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden, sondern auch Engagement, Zielerreichung und Leistung – kultur- und altersübergreifend.

Wie lässt sich Autonomie fördern?

Empathie und Perspektivübernahme sind der beste Nährboden für Autonomie. Wenn wir uns für das Erleben der anderen Person interessieren, fördern wir nicht nur ihre Autonomie, sondern gleichzeitig auch Verbundenheit und Kompetenz. Interesse, Akzeptanz und Offenheit für das Erleben anderer fördern ihre Autonomie.

Ryan beschrieb einfach umzusetzende Möglichkeiten für autonomy support:

  • die Perspektive anderer kennenlernen wollen, ihre Ansichten und Meinungen erfragen
  • Handlungsspielraum ermöglichen
  • selbstverantwortliche Entscheidungen ermöglichen
  • kontrollierende Sprache vermeiden
  • externale Belohnungen reduzieren, denn sie machen vorhandene internale Motivation kaputt (undermining effect). Diese Tatsache ist seit Jahren bekannt und wird doch so wenig umgesetzt!
  • Erklärungen anbieten, warum etwas getan werden soll – und wie
  • die andere Person als gleichwertig behandeln
  • Verständnis zeigen für Schwierigkeiten, Widerstand und Scheitern

Intrinsische Ziele machen glücklicher

Ryan ging anschließend auf die Bedeutsamkeit intrinsischer Ziele für Wohlbefinden ein.

  • Intrinsische Ziele umfassen persönliches Wachstum, tragfähige Beziehungen, Beitrag zur Gemeinschaft und die Gesundheit.
  • Extrinsische Ziele richten sich auf finanziellen Erfolg, soziale Anerkennung („Likes“), Status, Ansehen und Macht.

Menschen, die ihre Ziele intrinsischer ausrichten, sind psychisch und körperlich gesünder: Sie zeigen signifikant mehr Selbstaktualisierung und Vitalität, weniger Depression und körperliche Symptome. Dieser Zusammenhang ließ sich nachweisen in Studien in mehr als 30 Nationen, in allen Altersstufen und vielen beruflichen Feldern.

Besonders bedeutsam erscheint in diesem Zusammenhang altruistisches Verhalten. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass es glücklich macht, anderen zu helfen. „When you feel bad, go out and help someone“, so wird Martin Seligman zitiert, der sich dabei auf Forschung stützt. Im Feld der SDT erforscht Frank Martela die Bedeutung von Wohlwollen, benevolence, auf das Wohlbefinden: Längere Zeit wurde Altruismus als viertes Grundbedürfnis diskutiert; mittlerweile zeigt sich, dass benevolence die drei Grundbedürfnisse und ihre positive Wirkung auf Wohlbefinden stärkt. Wenn wir anderen freiwillig, selbstbestimmt und gerne Gutes tun, tut das uns gut – und dieser Effekt tritt sogar dann auf, wenn wir den „Empfänger“ der guten Taten nicht kennen.

Richard Ryan schloss diese beeindruckende, inhaltlich dichte Keynote mit dem Fazit: Achtsamkeit ist die Grundlage für Autonomie und Selbstregulation. Dann treffen wir eigenverantwortlich wertebasierte Entscheidungen und das fördert Wohlbefinden und Flourishing.

Der Raum zwischen Reiz und Reaktion

In allen Keynotes wurde der Achtsamkeit eine zentrale Position eingeräumt. Sie legt die Grundlagen für ein gelingendes Leben, in dem wir nicht fremdgesteuert und im Autopilot, sondern selbstbestimmt und im Einklang mit unseren Werten handeln können. Damit steht die moderne Positive Psychologie in der Tradition von Viktor Frankl, der als ihr „Großvater“ schon vor vielen Jahrzehnten formulierte, worauf es für uns Menschen ankommt:

„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum.

In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen.

In unserer Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit.“

Die Entscheidung liegt bei uns, in jedem Moment. Ob ich das als Mikrointervention betrachte oder als Lebenseinstellung – es liegt an mir, einen Moment innezuhalten, wahrzunehmen, was ist, und mich dann zu entscheiden, wie ich reagiere – oder agiere.

Mit dieser Freiheit und Verantwortung können wir eine Welt gestalten, in der wir gut leben können – für uns und füreinander!

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