Für eine Bachelorarbeit zur Bedeutung von Positiver Psychologie in Unternehmen wurde ich um meine Einschätzung gebeten. Hier meine Antworten:
Wie schätzen Sie die Verbreitung von Positiver Psychologie in deutschen Unternehmen ein?
In den letzten 10 Jahren sehe ich ein stetiges Anwachsen der entsprechenden Literatur und erlebe von Seiten der Unternehmen eine kontinuierlich steigende Nachfrage für Themen der Positiven Psychologie. Zunächst ging es um Burnout-Prophylaxe, dann um Resilienz und inzwischen eher ganzheitlich um psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele Unternehmen haben die Bedeutung dieser „soften“ Themen und ihren Zusammenhang mit „harten“ betriebswirtschaftlichen Kennzahlen bereits erkannt und entsprechend gehandelt, doch es bleibt noch viel zu tun, bis sich das in der Fläche auswirkt.
Welche Chancen ergeben sich für Unternehmen durch die Nutzung von Positiver Psychologie?
Die seit Jahren stetige und im Umfang alarmierende Anstieg psychisch bedingter Fehlzeiten zeigt die hohe Belastung, unter der Menschen stehen. Durch die Pandemie hat sich diese Situation noch weiter zugespitzt. Die Positive Psychologie kann tragfähige und valide Ansätze bieten, wie Menschen besser mit hoher Belastung umgehen können, langfristig leistungsfähig und psychisch stabil bleiben und Zufriedenheit und Erfüllung erleben können. Ein solcher Blick auf das wichtigste im Unternehmen, nämlich die Gesundheit, Kraft, Kreativität und Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird in Zukunft einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen.
Wie aufwändig ist es, einzelne Methoden aus der Positiven Psychologie in den Arbeitsalltag eines Mitarbeiters zu integrieren (z.B. Positiver Tagesrückblick, Positive Kommunikation, Arbeiten im Flow)?
In meinen Vorträgen vor Führungskräften ein zentrales Argument, dass die Interventionen der Positiven Psychologie keine Zusatzzeit kosten müssen. Vielmehr geht es darum, bestehende Aufgaben und Tätigkeiten, die ohnehin erledigt werden (müssen), mit einer neuen Einstellung auszuführen. Das Entscheidende ist die innere Haltung, die sich dann im Denken, Sprechen und Handeln spiegelt. Das kostet keine Zeit, kann aber das Erleben nachhaltig verändern.
Wie schätzen Sie den Einfluss von Unternehmenskultur auf die Nutzung von Positiver Psychologie in einem Unternehmen ein?
Kim Cameron, der Begründer von Positive Leadership drückt es so aus: „Positivity is heliotropic.“ Ebenso wie die Sonne bewirkt, dass sich Blumen in ihre Richtung hin ausrichten, wirkt eine positive Grundhaltung der Vorgesetzten auf die Menschen in einer Organisation. Entscheidend ist nach Cameron die wertschätzende und energetisierende Haltung der Führungskräfte, die wiederum in einer positiven Kultur des Unternehmens verwurzelt sein muss. Ohne Kulturwandel bleiben die Interventionen aufgesetzte Fremdkörper, deren Wirkung sich schnell wieder abnutzen wird. Nur durch eine Kongruenz zwischen Werten im Unternehmen, auf der Führungsebene ebenso wie im Umgang mit Mitarbeitenden, wird „Positivity“ wirksam und glaubwürdig.
Wie schätzen Sie den Einfluss der Landeskultur, in dem sich der Hauptsitz eines Unternehmens befindet, auf die Nutzung von Methoden aus der Positiven Psychologie in einem Unternehmen ein?
Ich habe persönliche Erfahrung mit europäischen und japanischen Unternehmen und sehe eine vergleichbare Offenheit gegenüber den Ansätzen der Positiven Psychologie. Möglicherweise steht die nordamerikanische Kultur Themen wie Happiness und Optimismus aufgeschlossener gegenüber, und europäische Unternehmen sind empfänglicher für Themen der Resilienz und psychischen Gesundheit. Letztendlich geht es aber darum, welche Bedeutung Wohlbefinden in einem unternehmerischen Kontext haben kann und muss – das ist weit mehr als nur gute Laune, die ein „Feelgood-Manager“ verbreiten soll. Hier geht es um eine Wertschätzungs- und Anerkennungskultur mit dem Ziel, dass Menschen und Organisationen aufblühen können (Flourishing).
Dr. Daniela Blickhan