Bücher über Kommunikation gibt es wie Sand am Meer, doch dieses verdient einen Platz im Scheinwerferlicht. „Missverständnisse klären und Kompetenzen stärken“ – was der Untertitel verspricht, das hält das Buch. Anna Fuchs erklärt Hintergründe und zeigt Wege, wie Kommunikation gelingen kann. Sie verbindet psychologische Konzepte mit dem kommunikationspsychologischen Ansatz von Schulz von Thun (dem Herausgeber der Reihe „Miteinander reden“, in der das Buch bei rowohlt erschienen ist), um zu zeigen, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft Verständnis füreinander aufbauen können. Das betrifft die interkulturelle Verständigung, doch eigentlich lassen sich die Thesen und Lösungsansätze, die Anna Fuchs so anschaulich und verständlich beschreibt, auf jede Beziehung anwenden. Die beschriebenen Mechanismen greifen in jeder Kommunikationssituation – und „Kultur“ umfasst weit mehr als nur Regionen oder Länder. Unternehmen und Teams haben ihre eigene Kultur (was bei Mergern immer besonders auffällt), ebenso Paare und Familien, mit Patchwork oder ohne. Und deshalb möchte ich dieses Buch jedem ans Herz legen, der mit anderen Menschen zu tun hat. Bitte lest es!
Der Eisberg
Das Buch ist flüssig geschrieben und – trotz seiner fachlichen Tiefe – ausgesprochen leicht lesbar. Anna Fuchs bietet anschauliche Vergleiche, kraftvolle Metaphern und auch persönliche Bezüge zu ihrer eigenen Familie, indem sie zum Beispiel fragt, auf welchen von „Halls Eisbergen“ sie denn ihre Kinder setzen soll, die einen argentinischen Vater und eine deutsche Mutter haben und in Spanien, genauer gesagt Katalonien, leben.
Edward Hall begründete in den 70er Jahren die interkulturelle Kommunikation. Sein „Eisberg“ symbolisiert eine Kultur, deren überwiegender Teil unter der Oberfläche der Kommunikation verborgen liegt. Hall betrachtete vor allem die Unterschiede zwischen Kulturen, weniger die Frage, wie Menschen verschiedener Herkunft gut miteinander sprechen, leben und arbeiten können.
Wie ticken Menschen?
In Teil 1 des Buches geht es um den Kulturbegriff und das Verständnis, wie Menschen „ticken“. Anna Fuchs fasst die Grundlagen der Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun prägnant und fundiert zusammen. Sicher, das Kommunikationsquadrat ist nicht neu, doch selten habe ich es mit seinen Konsequenzen so anschaulich und anwendungsnah beschrieben gesehen. Großartig! Anna Fuchs erklärt mit der Metapher des Inneren Teams kognitive Verzerrungen wie Stereotype, Vorurteile und Rassismus, denen wir alle unterliegen. „Weltgewandte Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie gelernt haben, Denkfehlern, vorschnellen Impulsen und eingeschliffenen Verhaltensweisen nicht gleich nachzugeben“ (S. 100). Doch leider „tickt unser Gehirn“ so, dass wir uns „mit falschen Wahrnehmungen, Erinnerungen und Urteilen selbst an der Nase herumführen und unsere ungeprüften Grundannahmen, unseren Ethnozentrismus und unsere Tendenz zum Selbstwertschutz in den Kontakt mit anderen Menschen mitnehmen.“ Wie wahr – nicht nur im Umgang verschiedener Kulturen!
Wie können sich Menschen trotz Unterschieden verstehen?
In Teil 2 geht es dann um die Dynamiken in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Im Zentrum dieses Teils steht das Wertequadrat, das Fuchs zum „Kulturquadrat“ erweitert. Großartig und sehr, sehr nützlich! Fuchs setzt sich mit Hofstedes Kulturdimensionen auseinander – wer weiß eigentlich, dass Hofstede „den Großteil seiner Daten in den Jahren 1967 bis 1972 lediglich mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des IBM-Konzerns erhoben“ hat (S. 145)? Interessant, wie eine derart umgrenzte Datenbasis bis heute genutzt wird, um praktisch die ganze Welt zu erklären und in Kulturdimensionen zu stecken… Anna Fuchs bleibt jedoch – natürlich – nicht bei dieser kritischen Anmerkung stehen, sondern bietet Dimensionen an, mit denen man andere Menschen und sich selbst verstehen kann:
- Zeitgestaltung: Uhrzeit vs. Ereigniszeit
- Menschen und Beziehungen: individualistisch vs. Kollektiv
- Machtverteilung: hierartchisch vs. Egalitär
- Umgang mit Veränderung: planbar vs. Situationsbezogen
- Kommunikation: direkt vs. Indirekt.
Fuchs unterscheidet zwischen einem „kugeligen“ Kulturverständnis, die „weit herausgezoomt uns eine schnelle Grundorientierung verschafft und Handlungsfähigkeit sicherstellt. Sie hilft (…), Bedürfnisse des Gegenübers besser zu verstehen, muss allerdings ergänzt werden um eine differenzierte systemische Sichtweise, die näher heranzoomt und anerkennt, dass ein paar Schubladenbegriffe nicht ausreichen, um Kulturen und die Interaktionsgewohnhieten ihrer Mitglieder zu erklären“ (S. 145). Und genau dafür schlägt Fuchs das „Kulturquadrat“ vor.
Trotz allem werden Konflikte im täglichen Miteinander (leider) nicht ausbleiben. Basierend auf Schulz von Thuns „Teufelskreis“ mit seinen zirkulären Konfliktdynamiken beschreibt Anna Fuchs Möglichkeiten, um dann wieder Auswege zu finden:
- sich der zirkulären Dynamik bewusst werden
- das eigene Verhalten erkennen, mit dem man den Kreislauf am Laufen hält
- das Verhalten des Gegenübers neu und wohlwollend betrachten – was könnte daran das Gute sein?
- Verantwortung für die eigene Gefühlsreaktion übernehmen
- die innere Reaktion des Gegegnübers wahrnehmen und ernst nehmen.
Wie gesagt, diese Lösungsansätze sind nicht nur bei den „großen“ Kulturunterschieden (Länder, Regionen) relevant und hilfreich, sondern auch in Paaren, Familien und Teams.
Jenseits der Eisberg-Metapher
In Teil 3 des Buchs geht es schließlich um eine Erweiterung unseres Verständnisses für Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Statt „interkulturell“ schlägt Fuchs vor, „transkulturell“ zu denken. „Transkulturalitat versteht Kultur nicht als statischen Eisberg, sondern als dynamische Flusslandschaft oder als eine Art Netzwerk, das sich durch Gemeinsamkeiten und Durchmischungen auszeichnet“ (S. 199). Es geht deshalb für die Basis einer Beziehung darum, sowohl kulturtypische als auch individuelle Eigenheiten ernstzunehmen.
„Da wir quasi während jeder Begegnung fleißig an unseren Kulturen (mit)stricken, sollten wir auch jede dieser Begegnungen umso bewusster (mit)gestalten. Und zwar indem wir
- mit einer passenden inneren Aufstellung in den Kontakt gehen (Anmerkung: Dabei bezieht sich Fuchs auf das „Innere Team“).
- versuchen, unser Gegenüber sowohl mit seinen kulturtypischen Eigenheiten als auch in seiner Individualität wirklich zu erkennen;
- uns aktiv für ein konstruktives Wir einsetzen.
Beim „Ich“ geht es um die Haltung: Offenheit der Wahrnehmung, emotionale Stabilität und Bewältigungsmechanismen, Flexibilität, Fehlerfreundlichkeit und Souveränität. Für das „Du“ braucht es offene Augen, Ohren und ein offenes Herz, Empathie und „situativen Spürsinn“ (S. 222). Dann kann ein „Wir“ auch stark genug werden, um Gegensätze halten und verbinden zu können.
Dieses Buch lege ich jedem ans Herz, der in privaten oder beruflichen Beziehungen lebt. Möge es sich schnell und weit herumsprechen!
Daniela Blickhan