Die Psychologie heute bringt in der Ausgabe 05/2023, S. 10 einen Artikel Körpersprache wird stark überschätzt, in der Prof. Dr. Uwe Kanning schreibt:
“Seit langem gilt das neurolinguistische Programmieren als widerlegt.”
“Nichtsdestotrotz predigen dessen Anhängerinnen und Anhänger seit Jahrzehnten die Mär, dass sich an der Blickrichtung eines Menschen seine Persönlichkeit ablesen ließe.”
Uwe Kanning “ist Personaldiagnostikexperte und hat sich um die Aufklärung über Pseudowissenschaften in der Personalauswahl und im Personalmanagement verdient gemacht.” (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Kanning)
Leider benutzt er manchmal pauschale Argumente, differenziert nicht genug, und tritt so manchen Ansatz mit Schwung in die Tonne, der das eigentlich nicht verdient hat. Und deshalb habe ich auf LinkedIn am 18.04.23 zu diesem Zitat Stellung genommen. Hier zunächst meine Antwort auf Kannings Zitate:
“Seit langem gilt das neurolinguistische Programmieren als widerlegt.” – Wie lässt sich wissenschaftlich eine gesamte Coachingrichtung widerlegen? Selbst falls das möglich wäre (ich wüsste nicht wie), mit welcher wissenschaftlichen Quelle wird diese Behauptung belegt? In einer Studienarbeit an der Uni würde als Kommentar stehen: Bitte mit Quelle belegen, andernfalls ist das nur eine persönliche Meinung.
“Nichtsdestotrotz predigen dessen Anhängerinnen und Anhänger seit Jahrzehnten die Mär, dass sich an der Blickrichtung eines Menschen seine Persönlichkeit ablesen ließe.”
- “Predigen” rückt durch die tendenziöse Wortwahl eine Coachingrichtung in den religiösen Bereich. Dort geht es ums Glauben.
- Der Gebrauch des Wortes “Mär” verstärkt die Abwertung. (“in der Gegenwartssprache wird die Bezeichnung vor allem abwertend für moderne Sagen und andere Geschichten oder Vorstellungen verwendet, die sich als falsch herausgestellt haben. https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A4r)
- “Anhängerinnen und Anhänger”: Solche hat ein Kult, eine Sekte – aber keine Coachingrichtung.
- “dass sich an der Blickrichtung eines Menschen seine Persönlichkeit ablesen ließe” – Nein, sehr geehrter Herr Prof. Kanning, diese Behauptung existiert nicht. In den frühen Jahren des NLP (..ich war dabei in den 80ern und habe den DVNLP mitgegründet…) gab es die Hypothese, dass Menschen gewohnheitsmäßig beim Denken eher nach oben, unten oder seitlich schauen und sich das in ihrer Sprache spiegelt (“nach oben schauen” = visuelle Inhalte abrufen). Das ist eine mentale Strategie und kein Persönlichkeitsmerkmal. Und eine kleine, heute sehr unbedeutende Facette im großen Bereich von Kommunikation und Coaching, das das NLP beleuchtet. Wer das herausgreift, zeigt nur, dass er sich nicht mit dem beschäftigt hat, worum es im NLP geht: eine lösungs- und ressourcenorientierte Haltung, um Menschen bei Veränderungen und in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Dazu erscheint im Juni ein Kapitel von mir erscheint im Band Coaching – zum Wachstum inspirieren im Carl Auer Verlag,, herausgegeben von Prof. Monika Zimmermann.
Hier mein Beitrag auf Linkedin:
…wieder einmal geht’s mit der argumentativen Brechstange gegen NLP – schade, Uwe P. Prof. Dr. Kanning. Ich schätze Ihre Publikationen sehr und zitiere Sie gerne; doch hier wurde zu pauschal verurteilt. Augenbewegungen eignen sich dazu ganz gut, denn im Ernst – was soll die Blickrichtung mit der Persönlichkeit zu tun haben? Nichts, absolut gar nichts! (Das wird im NLP aber auch nicht behauptet.)
Augenbewegungen können Auswirkungen auf das Denken haben und damit wiederum auf Emotionen. Die anerkannte therapeutische Methode des EMDR arbeitet übrigens genau mit diesen Zusammenhang.
Seit mehr als 30 Jahren arbeite ich als Coach, seit 25 Jahren bilde ich Coaches aus.
Meine wichtigste Empfehlung zu Augenbewegungen:
Wenn dein Gegenüber aus dem Blickkontakt geht und “wegschaut” – egal ob nach oben, unten, seitlich oder geradeaus in die Ferne – sei erst einmal ruhig und lass der Person Zeit, denn sie denkt gerade. Lass ihr dabei Zeit, unterbrich den Prozess nicht mit einer (gutgemeinten) nächsten Frage!
Du bist erst dann wieder dran, wenn dein Gegenüber dich wieder anschaut.
Danke, lieber Ueli R. Frischknecht, für deine differenzierte, sachliche Antwort und deine Hinweise auf Studien zu verschiedenen Anwendungen des NLP.
Ein Kapitel zu NLP von mir erscheint im Juni im Band Coaching – zum Wachstum inspirieren, herausgegeben von Prof. Monika Zimmermann. (Darin gehe ich nicht nur auf Augenbewegungen ein 😉)
Mein zweiter Beitrag in diesem Buch beschreibt die Positive Psychologie und ihre Anwendung im Coaching.
Abschließend eine persönliche Anmerkung:
Als ich Coaching gelernt habe – in den Achtzigern – stand im Coaching, ebenso wie in der Psychotherapie – noch die Frage im Vordergrund, welche Methode denn die beste und welche “Schule” der anderen überlegen sei.
Aus diesem Denken sind wir Coaches und Psychotherapeut*innen inzwischen zum Glück “herausgewachsen”. Heute denken und arbeiten wir schulen- und methodenübergreifend, um Menschen bestmöglich zu unterstützen.
Und so habe ich am #inntalinstitut eine Coachingausbildung entwickelt, die auf Positiver Psychologie, NLP und systemischen Ansätzen basiert, und von der Lösungs- zur Wachstumsorientierung führt.
Persönlich bin ich als Psychologin und Coach mit NLP “aufgewachsen” und habe über viele Jahre bei Robert Dilts gelernt. das prägt meine Kommunikation und Haltung im Coaching bis heute und dafür bin ich Robert sehr dankbar. In der Systemik hat mich der großartige Matthias Varga von Kibed inspiriert, und Positive Psychologie habe ich in England studiert, darin bei Michael Eid promoviert und wurde von zahlreichen großartigen Forscher*innen inspiriert.
Meine Aufgabe sehe ich darin, eine Brücke zu bauen zwischen Wissenschaft und Anwendung, damit Coaches eine fundierte Basis für ihre Arbeit bekommen und Menschen beim Wachsen begleiten können.
(… sorry, wenn dieser Post etwas “breiter” wurde – das Thema liegt mir wirklich sehr an Herzen.)
Hier geht’s zum Beitrag auf Linkedin
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