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Glück erweitert den Horizont

Wie sich Wohlbefinden auf unsere (politischen) Einstellungen auswirkt

“Offenbar denken Menschen bereits weltoffener, wenn sie einfach nur glücklich sind.” Mit diesem Fazit endet ein Artikel in der heutigen Süddeutschen Zeitung über den Zusammenhang von Wohlbefinden und politischer Einstellung wie etwa Fragen der Migration.

Der Soziologe Fabian Kratz analysierte Daten aus dem Sozio-ökonomischen Panel Deutschland. In dieser großen, lang laufenden Studie werden regelmäßig mehr als 60.000 Menschen nach verschiedenen Aspekten ihres Lebens befragt, unter anderem auch nach ihrem Wohlbefinden.

Kurz zusammengefasst:

“Menschen haben größere Sorgen vor Zuwanderung, wenn sie mit ihrem Leben unzufrieden sind. Das gilt offenbar nicht nur, wenn Angst um Job oder Geld die Stimmung drückt, sondern auch bei privaten Schicksalsschlägen.” (Kramer, SZ)

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der eigenen Zufriedenheit und Einstellung zur Migration?

Fabian Kratz untersuchte für die Jahre 1999 bis 2017 (also vor der Pandemie) den Zusammenhang von persönlichem Wohlbefinden und ihrer Einstellung zu Fragen der Migration. Konkret verglich er

  • die allgemeine Lebenszufriedenheit
  • die Zufriedenheit mit dem persönlichen Einkommen
  • die Zufriedenheit mit  der eigenen Wohnsituation

mit der persönlichen Einstellung gegenüber Migration.

“Und tatsächlich: Menschen neigen eher zu migrationskritischeren Einstellungen, wenn ihre Lebenszufriedenheit sinkt.” (Kramer, SZ)

Was bedeutet dieser Zusammenhang? Wie kann man ihn erklären? 

Nachvollziehbar wäre es ja vielleicht, wenn persönliche Sorgen um den eigenen Job oder das Einkommen zu einer migrationskritischeren Einstellung führen. Studienautor Fabian Kratz schreibt: “Zuwanderung skeptischer zu sehen, wäre eine rationale Reaktion, wenn man dadurch zum Beispiel mehr Wettbewerb um Arbeitsplätze befürchtet. Man fühlt sich ökonomisch bedrängt, ist dadurch unzufriedener und schaut argwöhnisch bis feindlich auf diejenigen, die man für die Ursache der Bedrohung hält.” (zitiert nach Kramer, SZ)

Doch ein solcher Zusammenhang zeigte sich auch bei einem “unpolitischen Ereignis” (Kramer), das die Lebenszufriedenheit sinken ließ, wie etwa der Tod des Partners.

Fabian Kratz vermutet, dass Menschen generell Erklärungen – oder “Sündenböcke” – suchen, sobald es ihnen schlechter geht. Diese Erklärungen sind aber nicht unbedingt logisch. Kratz fand heraus, dass die ablehnende Einstellung gegenüber Zuwanderern nachlässt, sobald die persönliche Lebenszufriedenheit wieder steigt.

“Offenbar denken Menschen bereits weltoffener, wenn sie einfach nur glücklich sind”, so das Fazit des Journalisten Bernd Kramer.

Positive Gefühle erweitern unsere Aufmerksamkeit

Dieses Fazit lässt sich aus Sicht der Positiven Psychologie unterstützen. Bereits vor 25 Jahren wies die Emotionsforscherin Barbara Fredrickson nach, dass positive Gefühle unsere Wahrnehmung erweitern. Dies geschieht innerhalb von Sekunden auf der Ebene der Wahrnehmung – wir sehen dann buchstäblich mehr – und wirkt sich dann auf unser Denken aus: Wir werden offener, kreativer, denken “weiter”.

Ihre Theorie nannte Fredrickson “Broaden-and-Build-Theory of Positive Emotions” (2001)

Positive Gefühle tragen zum Aufbau von Ressourcen bei

Wenn wir regelmäßig positive Emotionen erleben, dann bauen wir Ressourcen auf; das ist der “Building”-Aspekt der Theorie. Fredrickson betont, dass es dabei weniger um das Ausmaß, sondern um die Häufigkeit geht, die “daily diet of positive emotions”.  Also nicht die großen Gefühle, sondern lieber eine stetige Zufuhr an “kleinen” positiven Emotionen.

Um welche Ressourcen geht es hier?

  • persönliche, psychische Aspekte wie Optimismus, Sinnerleben, Resilienz, Verhaltensflexibilität,
    aber eben auch
  • interpersonelle Ressourcen wie Empathiefähigkeit und soziale Feinfühligkeit, das “social attunement”.

Und hier erinnern wir uns an Kramers Fazit : “Offenbar denken Menschen bereits weltoffener, wenn sie einfach nur glücklich sind.” Ja genau!

Positive Emotionen fördern Lebenszufriedenheit

Lebenszufriedenheit lässt sich beschreiben, erfassen – und fördern. Seit den 80er Jahren ist das Konzept des Subjektiven Wohlbefindens bekannt (Ed Diener, 1984), das uns genau das ermöglicht. Persönliches Wohlbefinden – Glück – setzt sich nach Diener aus zweiKomponenten zusammen:

  • Dem Verhältnis von angenehmen Gefühlen und unangenehmen Gefühlen in einem Zeitraum von wenigen Wochen – gewissermaßen wie zwei Waagschalen. Wohin tendiert die Waage?
  • Der persönlichen Zufriedenheit mit dieser “Gefühlsbilanz”: Wie komme ich damit zurecht, wie es mir geht?

Diener konnte damit operationalisieren, was jede*r von uns intuitiv nachvollziehen kann: Natürlich ist es schön, wenn in unserem Leben angenehme Gefühle überwiegen. Das ist “Wohlfühlglück”. Doch wir sind durchaus in der Lage, auch harte Zeiten zu durchzustehen, wenn die Gefühlsbilanz negativ ist und unangenehme Emotionen überwiegen. Wenn wir wissen “wozu”, dann können wir auch dann Zufriedenheit erleben, wenn wir wenig positive Gefühle spüren. Aus den Forschungsgebieten der Resilienz und des posttraumatischen Wachstums gibt es mittlerweile viel gesichertes Wissen, wie wir nach Schicksalsschlägen wieder emotional zurückfedern, Herausforderungen verarbeiten und daran wachsen können. 

Und die Positive Psychologie kennt zahlreiche, empirisch fundierte Möglichkeiten, positive Emotionen zu fördern. Den “Broaden”-Effekt, das Erweitern unseres Horizontes durch positive Gefühle, können wir ganz schnell “anzapfen”. In meiner aktuellen Ausbildung Positive Psychologie, die in den letzten Tagen online gestartet ist (meine 26. Runde!) haben wir genau darüber gesprochen. Wie können wir “Seifenblasenmomente” im Alltag vermehren? Welche kleinen, kurzen, und dennoch so spürbaren Möglichkeiten gibt es für 

  • Wahrnehmen
  • Wertschätzen
  • Genießen?

Einige Möglichkeiten: Der Positive Tagesrückblick (oder -ausblick), Pleasure Walks, Mini-Urlaube, Freundlichkeit im Alltag, Ausdruck von Dankbarkeit – und vieles mehr.

Machen wir den Anfang, und fangen wir damit an, die Welt ein bisschen zu verändern! Denn offensichtlich kann persönliche Zufriedenheit weitreichende soziale und politische Folgen haben. 

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Quellen:

Fredrickson, B. L. (2001). The role of positive emotions in positive psychology: The broaden-and-build theory of positive emotions. American Psychologist, 56(3), 218–226. https://doi.org/10.1037/0003-066X.56.3.218

Diener, E. (1984). Subjective well-being. Psychological Bulletin, 95(3), 542–575. https://doi.org/10.1037/0033-2909.95.3.542

 

Fabian Kratz (2023) A liberalizing effect of happiness?

Abstract:

High levels of concerns about immigration pose a threat to the successful integration of immigrants and may even destabilize heterogeneous societies. This study assesses the mechanisms underlying the association between subjective well-being and concerns about immigration. The analyses rely on the German Socio-Economic Panel Study (1999-2017), a long-running data set that follows individuals over time with a total of 60,319 respondents and 329,556 person-year observations. Individuals who are on average more satisfied with their income, housing situation, and life overall are less concerned about consequences stemming from immigration. The impact of changes in subjective well-being reaches beyond the influence of objective well-being; moreover, if the same individuals become less satisfied with any one of these life dimensions, their concerns about immigration increase. In turn, an increase in satisfaction is followed by a decline of immigration-based concerns. These results imply that political measures that strengthen resilience and foster coping mechanisms are critical to reducing concerns about immigration, cultivating societal integration.

https://de.wikipedia.org/wiki/Sozio-oekonomisches_Panel

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2 Kommentare zu „Glück erweitert den Horizont“

  1. Das ist ein Artikel der Hoffnung macht und Wege aufzeigt wie wir mit den politischen Herausforderungen unseres Landes besser umgehen können. Danke für die tolle Zusammenfassung der Forschungen.

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